polarity
ROLLERATOR

Reg.: Oct 2001
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Krieg in Foren
Ob es um Politik, das TV-Programm oder nur das Wetter geht: Diskussionen in Web-Foren arten oft in wüste Beschimpfungen aus. Das liegt nicht immer nur an böswilligen Störern, sondern vielfach auch am Medium selbst.
interessantes thema
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Provokateure im Netz
Wohl besser so, dass Joss gerade nicht physisch anwesend ist. „Im real life würde man so einen wie Joss – je nach Alter und Temperament – entweder links liegen lassen oder vermöbeln“, schreibt Klaus Zamsel und fängt sich von Joss diese elegante Replik ein: „Du machst dich lächerlich.“
Schauplatz des Scharmützels: ein Thread mit dem viel versprechenden Titel „Lineare Regression und Netzterrorismus“ in der ansonsten eher seriösen und gesitteten Newsgroup de.sci.psychologie im deutschsprachigen Usenet.
Es handelt sich um eine der zahllosen Online-Diskussionen, die nach ernsthaftem Beginn in einen Austausch von Sarkasmen, verbalen Hieben und schließlich puren Rüpeleien übergehen – in diesem Fall mit der Pointe, dass genau dies ihr Thema war. Immerhin, wenn es um Therapiebedarf bei den Teilnehmern geht, etwa Strategien zur Aggressionskontrolle, sind hier die Experten gleich zur Hand.
Ein paar getippte Sätze, und schon sind alle in Rage
Das Phänomen ist exakt so alt wie die Idee von Computer-Netzwerken selbst. Aus sicherer Deckung – wie ein unsichtbarer Schützengraben – mischen sich Nervensägen und Provokateure ein, mitunter anscheinend aus reiner Böswilligkeit. Wer das im Angesicht realer Gesprächspartner versuchte, müsste wirklich eine gut sortierte Hausapotheke samt Kühlpackungen haben.
Aber auch gutwillige Menschen lassen sich im Netz bestürzend schnell hinreißen, ihre Erziehung zu vergessen. „Ich habe das sogar bei Wissenschaftlern erlebt, die sich oft auf Kongressen bewegen und auseinander setzen müssen“, sagt der Psychologe André Hahn, Betreiber der Website Psychologie.de. „Ein paar getippte Sätze, und schon sind alle in Rage.“
Es kann um Politik gehen, um TV-Moderatoren oder auch nur das Wetter: Überall, scheinbar aus heiterem Himmel, fliegen die Fetzen. Psychologen und Soziologen beobachten das Phänomen seit den Anfängen der Netzkommunikation im Usenet, wo sich aus einzelnen Flames (Beleidigungen) mit den so genannten Flamewars eine „sportliche“ Variante entwickelt hat.
Gern auf Freitag Nachmittag angesetzt, waren sie vergleichbar mit Verabredungen von Hooligans, ein beliebiges Fußballspiel für eine Schlägerei zu nutzen – nur ohne blaue Augen, schlimmstenfalls mit wunden Fingern und erhöhtem Blutdruck. Nachklänge davon sind in den IT-Foren bei Heise.de zu beobachten, wo Trolle – die traditionelle Bezeichnung für Störenfriede – ihr halb geduldetes Unwesen treiben. Auf der Seite wird gar ein eigenes Troll-Voting für die eifrigsten Provokateure unterhalten.
Ohne Mimik, ohne Ton
Nicht geplante Streitereien sind aber ein dankbareres Thema, auch da genügt ein halber Tag, um eine stattliche Sammlung entgleister Gespräche mit prächtigsten Eskalationen anzulegen.
Nahe liegende Gründe sind die Anonymität vieler Foren und die Neigung zu Missverständnissen bei schriftlicher Kommunikation, da ja Signale wie Mimik oder Tonfall fehlen. Aus dem gleichen Grund sind Statusfragen in spontanen Communities länger ungeklärt: Kompetenz oder dominante Ausstrahlung helfen erst mal nicht weiter. „Alle haben am Anfang den gleichen Status und müssen sich ihr Standing erst erarbeiten“, erläutert Psychologe André Hahn.
Wer sich für einen kommenden Platzhirsch hält, wird auf Kritik empfindlich reagieren und sie für einen Angriff auf den eigenen Status halten. „Im Internet geschehen die sozialen Differenzierungsprozesse viel schneller und chaotischer als im realen Leben“, sagt Hahn. „Es gibt in einer Community zwar Stars und Mitläufer und Ausgegrenzte, aber die Position kann sich schnell ändern. Das kann dann sehr rau zugehen.“
Das können Sie dagegen tun
Wirklich gefährlich wird es dort, wo Teilnehmer die Spielregeln der Plauderei nicht kennen. Etwa für empfindsamere Gemüter, die in Foren Rat oder gar Trost suchen. Da wird ein Schwätzer schnell als Unhold, ein Troll als massive Bedrohung empfunden.
Im Forum der Seite Psychologie.de wird eine sehr ernsthafte Debatte über Internet-Mobbing geführt – etwas hoch gegriffen, da ja das Arbeitsplatz-Mobbing kaum ein Thema wäre, wenn man es mit einem gezielten Mausklick abstellen könnte. Schmerzhaft ist es gleichwohl: „Es tut einfach nur hundsgemein weh“, klagt Prisca; offenbar, nachdem sie in einer Community nach längerer Zeit zum schwarzen Schaf erkoren wurde.
Psychologe André Hahn kennt solche Fälle: „Wenn jemand ein Opfer von Gerüchten wird, dann ist das kaum wieder auszuräumen. Dann sollte man sich lieber verabschieden, anstatt einen sinnlosen Kampf zu führen.“
Ignorieren?
Die Moderatoren können in solchen Fällen nichts tun. Bei Psychologie.de sind es ehrenamtliche, manche von ihnen bewährt in der Telefonseelsorge, die es meist bei Mahnungen belassen. Ein zu streng reglementiertes Forum würde auch seinen Reiz verlieren: „Das lebt ja von der niedrigen Eingangsschwelle und der Spontaneität der Teilnehmer“, sagt Hahn.
Der Betreiber kann sich nur an eine knappe Hand voll Störer erinnern, die ausgeschlossen werden mussten: „Die waren alle vom pubertierenden Besserwissertyp. Das ist manchmal schwer auszuhalten.“ Dass Ignorieren das beste Mittel gegen Provokateure ist, weiß man seit Anbeginn des Internets – es ist nur so schwer durchzuhalten. Hahn: „Irgendwann juckt es doch in den Fingern.“
Quelle:
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Last edited by polarity on 05-09-2004 at - 23:15
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