BTKA
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SPIEGEL: Warum interessieren sich die Forscher dann nicht dafür?
Jefferson: Ganz einfach: Mit Rhinoviren, RS-Viren und den meisten anderen dieser Erreger lässt sich kein großes Geld und kaum eine Karriere machen. Gegen Influenza-Viren hingegen gibt es einen Impfstoff und auch Medikamente. Da steckt das große Geld der Pharmaindustrie dahinter! Die sorgt auch dafür, dass Forschung über Influenza in guten Journalen veröffentlicht wird. So findet sie mehr Beachtung, und das ganze Forschungsfeld wird für ambitionierte Wissenschaftler interessant.
SPIEGEL: Wissenschaftlich ist das große Interesse an den Influenza-Viren also gänzlich unbegründet?
Jefferson: Die Beschränkung auf Influenza ist nicht nur falsch, sondern sogar sehr gefährlich. Erinnern Sie sich noch an Sars? Das war eine wirklich gefährliche Epidemie. Sie kam schnell wie ein Meteor, und viele Menschen sind gestorben. Sars hat uns überrumpelt, weil es von einem völlig unbekannten Coronavirus ausgelöst wurde. Woher kam dieses Virus? Wohin ist es verschwunden? Oder ist es immer noch da? All das wissen wir bis heute nicht. Und jedes Jahr werden neue, merkwürdige Erreger entdeckt. Zum Beispiel das Bocavirus, das bei kleinen Kindern Bronchitis und Lungenentzündung auslösen kann. Oder das sogenannte Metapneumovirus, das in Studien immerhin für mehr als fünf Prozent der grippeartigen Erkrankungen verantwortlich war. Wir sollten in alle Richtungen wachsam bleiben!
SPIEGEL: Aber bei der großen Pandemie 1918/19 waren es doch echte Grippeviren, die um die Welt gingen und bis zu 50 Millionen Menschen getötet haben - oder bestreiten Sie auch das?
Jefferson: Es ist gut möglich, dass es so war, aber absolut sicher wissen wir es nicht. Die Pandemie von 1918/19 gibt uns noch immer viele Rätsel auf. Das H1N1-Virus gilt erst seit zwölf Jahren als Auslöser. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Bakterien im Spiel waren. Unerklärt bleibt aber vor allem, warum die Grippesterblichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg so dramatisch gesunken ist. Sie beträgt heute nur noch einen Bruchteil dessen, was vor dem Krieg die Regel war. Die späteren sogenannten Pandemien, die "Asiatische Grippe" von 1957 und vor allem die "Hongkong-Grippe" von 1968/69, kann man in der Todesstatistik kaum noch oder gar nicht mehr als herausragende Ereignisse erkennen.
SPIEGEL: Warum spricht man dann überhaupt von Pandemien?
Jefferson: Das müssen Sie die WHO fragen!
SPIEGEL: Wovon hängt es nach Ihrer Meinung denn ab, ob ein Virus wie zum Beispiel das Schweinegrippe-Virus zur weltweiten Bedrohung wird?
Jefferson: Leider kann man nur sagen: Wir wissen es nicht. Ich habe den Verdacht, dass die ganze Sache viel komplexer ist, als wir es uns heute vorstellen können. Vielleicht greift das Postulat von Robert Koch, dass ein Erreger eine Krankheit verursacht, bei all diesen Viren, die grippeartige Symptome erzeugen, zu kurz. Warum zum Beispiel bekommen wir im Sommer keine Influenza? Die Erreger sind schließlich das ganze Jahr über da! Der deutsche Arzt und Hygieniker Max von Pettenkofer hat dazu bereits im 19. Jahrhundert eine Theorie entwickelt, nach der die Umwelt durch den Kontakt mit dem Erreger die Krankheit verändern kann. Ich glaube, es wäre lohnend, in diese Richtung weiter zu forschen. Dann könnten wir vielleicht auch die Pandemie von 1918/19 besser verstehen oder die Gefahren der Schweinegrippe abschätzen.
SPIEGEL: Der Mensch ist heute besser gewappnet als 1918. Schon bald soll Impfstoff gegen die Schweinegrippe bereitstehen. Vergangene Woche gab die Bundesregierung bekannt, sie wolle genug davon für 30 Prozent der Bevölkerung einkaufen. Wie gut, schätzen Sie, wird er schützen?
Jefferson: Das kann nur der Ernstfall zeigen. Vor der Zulassung wird lediglich getestet, ob die Impfung auch eine Antikörperreaktion hervorruft. Aber ob die auch ausreicht, um tatsächlich vor der Krankheit zu schützen?
SPIEGEL: Sie sind da pessimistisch?
Jefferson: (lacht) Sagen wir es so: In einem Jahr wissen wir mehr!
SPIEGEL: Seit Jahren werten Sie für die Cochrane Collaboration systematisch alle Studien zu Impfstoffen gegen die saisonale Grippe aus. Wie gut schützen die denn?
Jefferson: Nicht besonders gut. Gegen die große Zahl grippaler Infekte kann eine Grippeimpfung ohnehin nichts ausrichten, denn sie richtet sich ja nur gegen Influenza-Viren. An der erhöhten Gesamtsterblichkeit während der Wintermonate ändert sich deshalb durch die Impfung gar nichts. Doch selbst gegen Influenza-Viren schützt sie im besten Fall mäßig. Unter anderem besteht immer die Gefahr, dass sich die zirkulierenden Grippeviren nach Abschluss der Impfstoffproduktion noch verändern, so dass die Impfung im schlimmsten Fall wirkungslos wird. Am besten, das zeigen zumindest die wenigen guten Studien, die es gibt, wirkt die Impfung bei jungen, gesunden Erwachsenen. Kindern und alten Menschen hingegen hilft sie wenig oder gar nicht.
SPIEGEL: Aber gerade für diese Bevölkerungsgruppen wird sie doch empfohlen!
Jefferson: Sie haben völlig recht. Das ist einer der Widersprüche zwischen wissenschaftlicher Evidenz und Praxis.
SPIEGEL: Und wie kommt es zu diesem Widerspruch?
Jefferson: Das hat natürlich mit dem Einfluss der Pharmaindustrie zu tun. Aber auch damit, dass die Bedeutung der Influenza völlig überschätzt wird. Da geht es um Forschungsgelder, um Macht, um Einfluss, um wissenschaftlichen Ruhm!
SPIEGEL: Gibt es überhaupt einen guten Grund, eine Grippeimpfung durchzuführen?
Jefferson: Ich sehe keinen. Aber ich habe das nicht zu entscheiden.
SPIEGEL: Und wie sieht es mit Tamiflu und Relenza aus, den Grippemitteln, die ja auch gegen die Schweinegrippe eingesetzt werden? Wie gut wirken diese Mittel tatsächlich?
Jefferson: Wenn man sie rechtzeitig nimmt, verkürzen sie die Dauer der Grippe im Durchschnitt um einen Tag. In einer Studie kam zudem heraus, dass sie das Risiko einer Lungenentzündung verringern.
SPIEGEL: Können diese Medikamente denn die Sterblichkeit an Grippe senken?
Jefferson: Durchaus möglich. Wissenschaftlich belegt ist das aber bislang nicht.
SPIEGEL: Und die Nebenwirkungen?
Jefferson: Tamiflu kann zu Übelkeit führen. Und es gibt auch Hinweise auf psychiatrische Nebenwirkungen. Aus Japan wird berichtet, dass es bei Jugendlichen, die Tamiflu genommen hatten, zu akuten psychotischen Symptomen ähnlich einer Schizophrenie gekommen ist.
SPIEGEL: Ist der Einsatz solcher Mittel dann überhaupt sinnvoll?
Jefferson: Bei schweren Krankheitsverläufen durchaus. Aber Tamiflu sollte auf keinen Fall, wie jetzt teilweise geschehen, an ganze Schulen verteilt werden. Da überrascht es mich überhaupt nicht, dass es schon jetzt bei der Schweinegrippe Berichte über Resistenzen gibt.
SPIEGEL: In Deutschland soll jedes Bundesland Grippemedikamente für 20 Prozent der Bevölkerung einlagern. Ist das in Ihren Augen Unsinn?
Jefferson: Zumindest gibt es wesentlich billigere Wege, womit sich wesentlich mehr erreichen lässt. Schulkindern müsste zum Beispiel beigebracht werden, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Am besten nach jeder Unterrichtsstunde! Und an jedem Flughafen sollten ein paar hundert Waschbecken installiert werden. Wer sich nach dem Flug nicht die Hände wäscht, wird sofort vom Zoll gestoppt - unsichtbare Farbstoffe im Wasser könnten das möglich machen. Und auch das Tragen eines Mundschutzes kann sinnvoll sein.
SPIEGEL: Ist wirklich bewiesen, dass diese Maßnahmen helfen?
Jefferson: Es gibt einige gute Studien dazu, die während der Sars-Epidemie durchgeführt worden sind. Es sind sogenannte Fall-Kontroll-Studien. Dabei wurden Menschen untersucht, die engen Kontakt mit dem Sars-Virus hatten. Man hat dann das Verhalten derjenigen Menschen, die sich bei diesem Kontakt infiziert hatten, mit dem Verhalten jener verglichen, die sich nicht infiziert hatten. Diese Studien haben ganz klare Ergebnisse gebracht.
SPIEGEL: Sie klingen geradezu begeistert!
Jefferson: Bin ich auch. Das Tolle an diesen Maßnahmen ist, dass sie nicht nur billig sind. Sie helfen auch gegen mehr als nur Influenza-Viren. Fast alle 200 Erreger, die Grippesymptome hervorrufen, kann man so bekämpfen, ebenso wie Magen-Darm-Viren und sogar gänzlich unbekannte Keime! Eine Studie aus Pakistan hat gezeigt, dass man durch Händewaschen das Leben von Kindern retten kann. Dafür sollte der Nobelpreis vergeben werden!
SPIEGEL: Mr. Jefferson, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Johann Grolle und Veronika Hackenbroch.
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